Wunschlos

Auf 1900 Meter Höhe über dem Meer herrscht auch Mitte Juli klirrende Kälte morgens um halb acht. Das macht Körper und Seele wach und fühlt sich sehr lebendig an. Über den Bergriesen ringsum fällt mir das eindrückliche Blau des azurnen Himmels auf den Kopf, ein Windstoß zerzaust mir die Haare und schon lässt sich die Kraft der Sonne erahnen, die in wenigen Minuten mein Holzbänkchen erreicht. Aus der Küche duftet der Kaffee und die frisch gemolkene Milch wird auf dem Herd warm. Zwei Spatzen turnen über die Wiese und benehmen sich wie ungestüme Kinder. Die Lupinen mit ihren bunten Röckchen bewegen sich sachte hin und her und laden die Schwebefliegen und andere Insekten zum Frühstück ein. Jetzt geniessen wir unseren morgendlichen Trank in trauter Zweisamkeit; ohne viele Worte überlassen wir uns der einmaligen Schönheit der Natur und streicheln gemeinsam den Hund, der sich zwischen uns drängt und unsere Aufmerksamkeit einfordert. Heute will ich kochen und backen, eine kleine Tour unternehmen, ein Buch auf dem Liegestuhl lesen, beim Heuen helfen und ein Telefonat führen auf das ich mich freue. Das Arbeiten in der Küche und auf dem Hof tun mir gut, es erdet mich und das Resultat meines Schaffens schenkt mir eine tiefe innere Befriedigung. Ich erlebe eine Stille, die inbrünstig um Verlängerung bittet, eine Stille, die mich ausfüllt und die Balsam für mein wundes Herz ist. Wortlose Stunden erzählen vom Sein und Denken, vom Hier und Jetzt. Der Duft des frisch geschnittenen Grases vereint sich mit der warmen Ausdünstung der Kühe, die keine Hast und keine Hektik kennen. Wenn sie gemächlich von der Wiese in den Stall spazieren, schaue ich ihnen zu und amüsiere mich über ihre Eigenarten. Die eine tänzelt wie eine Primaballerina und setzt ihre feinen Hufe graziös einen vor den anderen. Die andere kommt an keinem Grashalm vorbei ohne an ihm zu knabbern und ihre Weggefährtin bleibt immer wieder stehen, schaut sich neugierig um und ich warte darauf, dass sie zu Klatsch und Tratsch im Stall einlädt. Ein Stück Schokoladenkuchen und ein frisch aufgebrühter Kaffee sind ein kulinarisches Erlebnis vor der grandiosen Kulisse der Drei- und Viertausender; die schmelzende Süsse und die zartbittere Bohne ergänzen sich auf wundersame Weise. Ein paar lustige Anekdoten sorgen für genuine Lacher und schmunzelnde, vife Augen. Die untergehende Sonne erobert sich nochmal einen Platz in der ersten Reihe, überschüttet uns mit rosarotem Orange, taucht die Bergspitzen in zärtliche Schleier und überlässt nach einem nach Applaus heischendem Abgang dem Mond das Himmelsfeld. Der zwinkert sich einen und denkt “Angeberin”, bevor er sich mir kleinem Menschenkind freundlich und rundwangig von seiner besten Seite zeigt. Tintarella di Luna.

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Marita