Dösbaddel

Das Jahr mit C geht zu Ende. Zeit, Bilanz zu ziehen und die Monate Revue passieren zu lassen. Als erstes fällt mir der 13. März ein, ein einschneidender Tag in unser aller Leben. Der Lockdown wird verkündigt und in meinem Bekanntenkreis gibt es das erste C-Opfer. Von wegen Grippe! Zu diesem Zeitpunkt war für mich klar: ich will das Mistvieh nicht kriegen! Also Home Office, kein Samstag-Shopping in der Stadt (mochte ich sowieso nicht), keine öffentlichen Veranstaltungen, dafür die Entdeckung der Mediathek und einiger ausgesuchter YouTube Kanäle. So gezielt ausgesucht, wie die feinsten Leckerbissen in einer Pralinenschachtel. Maske mit Brille - eine Quälerei, aber nicht so schwer zu ertragen wie eine künstliche Beatmung. Vor dem Einkauf Hände desinfizieren, nach dem Einkauf Hände desinfizieren, beim nach Hause kommen Hände waschen, im Auto Lenkrad und Schalthebel desinfizieren, beim Gemüsebauern - na, Ihr wisst schon. Ganz viele erste Male dieses Jahr: Treffen zum Aperitiv, zum Essen und zu Kaffee und Kuchen mit Abstand und am liebsten draussen. Zum ersten Mal neue, liebe Menschen kennen gelernt. Zum ersten Mal jede Woche gebacken; Kuchen, Plätzchen, Brot und Brötchen. Zum ersten Mal Socken gestrickt. Zum ersten Mal überhaupt etwas zu Ende gestrickt. Zum ersten Mal täglich eine Siesta nach dem Mittagessen. Zum ersten Mal eine Online-Schulung konzipiert und durchgeführt. Noch nie auf einem Stand up paddle gestanden, dieses Jahr schon. Quittengelee und Zwetschgenmus fabriziert. Ist es nicht faszinierend, wie sehr es befriedigt, etwas mit den Händen zu erschaffen? Zum ersten Mal jeden Morgen Yoga und einmal am Tag meditiert. Das Wort “Dösbaddel” zum ersten Mal gehört. Ein Wort, welches mir auf der Zunge zergeht. Dösbaddel. Leider zum ersten Mal auch ohne Hund, ohne eine Reise in die Heimat und ohne tägliche Küsse und Umarmungen, ohne meine liebste Freundin und ohne Weihnachtsfeier mit den Kollegen. Aber auch ohne Dösbaddel, mit denen ich mich rumschlagen muss und ohne Gerenne zum Zug, ohne Staustehen auf der Autobahn oder an der Supermarktkasse. Ohne rücksichtslose “ich muss unbedingt der Erste sein” Mitmenschen,da ja vermeidbar. Ein Jahr der ersten Male, in vollem Bewusstsein meiner privilegierten Lebensumstände und voller Dankbarkeit dafür. Zum ersten Mal wieder achtsam gehen, schauen, staunen, sehen und mich selber spüren. Spüren, wenn es zuviel wird und merken, wenn es zuwenig ist. Müdigkeit akzeptieren und alles stehen und liegen lassen. Energie nutzen und tanzend durch die Wohnung putzen. Zeit leben, Zeit fühlen, Zeit geniessen. Ein aussergewöhnliches Jahr im besten Sinne, die Wiederentdeckung der kleinen Dinge,die wenig kosten und Wertvolles bringen. Sinn bringen. Ein schlimmes Jahr für viele auf dieser Welt, ein gutes für mich. Oder habe ich nur gelernt, dem Guten mehr Platz in meinem Leben einzuräumen?

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OMG… Nächstes Jahr werde ich 60😅

Marita